Projekttage am Kurfürst-Salentin-Gymnasium Andernach:
Stolpersteine für die ehemaligen jüdischen Schüler
Zeitzeugengespräche mit Verfolgten des NS-Regimes
Einem für sie bislang wenig erforschten Thema in der Geschichte ihrer Schule wandten sich die Schüler der Klasse 10c des Kurfürst-Salentin-Gymnasiums in Andernach zu. Im Rahmen der Projektwoche „Schule gegen Rassismus“ setzten sie sich mit dem tragischen Schicksal der jüdischen Schüler in der NS-Zeit auseinander. Neun jüdische KSG-Schüler sind in Konzentrationslagern umgekommen oder gelten seitdem als „verschollen“, wie es auf einer Gedenktafel heißt, die im Jahre 2001 in der Alten Aula der Schule angebracht wurde. Die Schüler der Klasse 10c erarbeiteten sich nun Informationen zur jüdischen Kultur und Geschichte, der diese Schüler entstammten. Sie wälzten Bücher und Lexika, um das Phänomen des Antisemitismus besser zu verstehen. Unter dem Eindruck einer vor kurzem erfolgten Fahrt in die Gedenkstätte Hadamar stehend, befassten sie sich auch mit der biowissenschaftlichen Verschleierung des NS-Rassismus. Die Rolle von Medizinern in der NS-Zeit, die sich das Recht herausnahmen, Menschenversuche und „Euthanasie“ durchzuführen, wurde ebenfalls kritisch beleuchtet.
Die Beschäftigung mit dem Schicksal der jüdischen Schüler erfolgte dabei als Vorarbeit für die Verlegung von so genannten „Stolpersteinen“ am 29. November 2011. Die Idee der „Stolpersteine“ geht auf den Künstler Günter Demnig zurück. In Andernach, Ochtendung, Neuwied und Koblenz sind schon zahlreiche solcher Steine verlegt worden. Sie werden in den Gehweg eingelassen, setzen sich aber von diesem durch ihre bronzene Farbe und die Inschrift ab. Diese erinnert an den Juden, der im Haus wohnte, vor dem der „Stolperstein“ steht. Die Steine sollen also den Vorbeigehenden an die ehemaligen Nachbarn, Kollegen und Schulkameraden erinnern, die nebenan lebten und arbeiteten. Die Idee der KSG-Schüler ist es, im Herbst vor ihrem Schulgebäude neun Stolpersteine für die neun jüdischen Schüler verlegen zu lassen. Dazu entwarf eine Arbeitsgruppe der Klasse Vorschläge, was auf den Steinen stehen und wie diese angeordnet werden sollen.
Als besondere Höhepunkte ihrer Projektarbeit empfanden die Schüler zwei Zeitzeugengespräche mit Verfolgten des NS-Regimes. Das Unfassbare der damaligen Zeit, das man vor allem aus der Literatur wie auch aus Filmen kennt, nahm in diesen Gesprächen personifizierbare Gestalt an. Mit Günter Berg stand sogar ein ehemaliger Schüler der Klasse Rede und Antwort. Berg, Jahrgang 1924, galt im NS-Jargon als „Halbjude“ und musste daher eine Reihe von Schikanen und Drangsalierungen seitens mancher Lehrer und des damaligen Direktors Brinkmann über sich ergehen lassen. Letzterer ließ sich sogar jede schriftliche Arbeit von Berg vorlegen und korrigierte jede Note um zwei nach unten. Jedoch gab es auch den einen oder anderen Gegner der Nationalsozialisten, berichtete Berg. Diese hätten ihn nur dann aufgerufen, wenn sie sicher wussten, dass er auch antworten kann. Das zweite Zeitzeugengespräch erlebten am Samstag, den 18. Juni, sehr viele Besucher des KSG, die sich die Arbeitsergebnisse der Projektwoche anschauten. Gast war Menachem Kallus, ein aus den Niederlanden stammender Jude, Überlebender der Konzentrationslager Ravensbrück und Sachsenhausen. Kallus wurde 1931 geboren. Nach der Besetzung seines Heimatlandes durch die Wehrmacht erlebte er rasch die Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung und deren Deportation. Seine Familie wurde über das niederländische Ghetto Westerbork nach Ravensbrück und er selbst später nach Sachsenhausen abtransportiert. Die Entmenschlichung des Individuums, die Missachtung der Menschenwürde und der Raub der Jugend durch die Schergen des Nazi-Regimes waren die Themen, die Menachem Kallus insbesondere am Herzen lagen. Obwohl selbst noch Kinder, mussten er und andere Jungs hart arbeiten, sie hungerten und litten unter der unmenschlichen Behandlung durch die Wachen. Der Mensch sei jedoch ein positiv denkendes, auf die Zukunft hin ausgerichtetes Wesen, bemerkte Kallus auf eine Frage aus dem Publikum, woher denn seine lebensbejahende Einstellung trotz all der schrecklichen Erlebnisse stamme.
Der Vortrag von Menachem Kallus und das direkt anschließende Gespräch waren somit ein würdiger Abschluss einer Projektwoche, in der die Schüler ein Zeichen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit setzten. Die ausgestellten und sorgfältig beschriebenen Plakate, die erstellte Bildershow und die Gespräche mit den Zeitzeugen zeigten nicht nur das Interesse der Schüler, sondern auch ihre Empathiefähigkeit mit dem Leiden anderer. Die Erinnerung an das geschehene Leid als Voraussetzung dafür, dass sich so etwas nirgends wiederhole und man die Stimme dagegen erhebe, waren denn auch die mahnenden Worte der beiden Zeugen unmenschlicher Zeiten. Die ernsthafte Bearbeitung des Themas durch die Schüler und ihre erfolgreiche Mitarbeit am Projekt der Gestaltung der geplanten Stolpersteine bieten Gewähr dafür, dass die Mahnungen nicht unerhört verhallen. Man darf nunmehr auf die Verlegung der Steine im November gespannt sein. Sie wird im Rahmen einer Feierlichkeit erfolgen, in der auch die Informationstafeln der Klasse 10c erneut zu sehen sein werden.
Franz Horvath